Anarchistische Mai-Demo in Hamburg: Schwarzer Block wird bunt

Die An­ar­chis­t*in­nen rufen dazu auf, am 1. Mai nicht als Black Block zu demonstrieren, sondern bunt. Und es ist richtig, das Dogma aufzubrechen.

Teilnehmer der revolutionären 1. Mai Demonstration ziehen durch die Stadt.

Die An­ar­chis­t*in­nen in Hamburg sollen dieses Jahr ihre Hasskappe aus dem Fenster werfen: Mal sehen, wie bunt es wirklich wird Foto: Ralf Hirschberger/dpa

HAMBURG taz | Ist das schon eine Revolution? Die Hamburger An­ar­chis­t*in­nen rufen für den 1. Mai dazu auf, den schwarzen Kapuzenpullover im Schrank zu lassen. Und die schwarze Hassi und die schwarze Hose auch. Ja, soll man denn nackt kommen? Nein, von den Hippies sind die Anarchos immer noch meilenweit entfernt. Aber sie wollen ihrer Mai-Demonstration in diesem Jahr einen anderen Ausdruck geben: bunt und vielfältig. Dazu rief die Gruppe „Schwarz-roter 1.Mai“ über ihre Social-Media-Kanäle auf.

Seit fünf Jahren melden die An­ar­chis­t*in­nen vom „Schwarz-roten 1. Mai“ in Hamburg regelmäßig eine eigene Demo zum Tag der Arbeit an. Uniform: immer schwarz. Auch auf der bunteren Demonstration des Bündnisses für Umverteilung „Wer hat der gibt“ haben die An­ar­chis­t*in­nen in den vergangenen Jahren einen eigenen Block organisiert, auch hier bestand die ganze Varietät des Dresscodes höchstens aus verschiedenen Schwarz-Nuancen. Wenn hier und dort mal ein rotes Tuch und zwei weißen Streifen auf dem Turnschuh zu sehen waren, war das auch schon der Gipfel der Farbpracht.

Jetzt möchten die An­ar­chis­t*in­nen mal etwas anderes ausprobieren, schreiben sie auf dem Kurznachrichtendienst X. „Wir wollen den Versuch wagen, Anarchismus in seiner Vielfältigkeit und Inklusivität zugänglicher für breite Teile der Bevölkerungsteile zu machen.“

Da man Seite an Seite mit allen Unterdrückten kämpfen wolle, wolle man dieses Jahr mehr Anschlussmöglichkeiten nach außen bieten. Konfrontative Situationen, laute Geräusche und Sichteinschränkungen schreckten vor allem marginalisierte Personen oft ab. „Uns ist klar, dass volle Barrierearmut nicht erreicht werden kann, aber wenn wir dem ein Stück näher kommen können, wollen wir es doch versuchen“, schreibt der „Schwarz-rote 1. Mai“.

Zwar gebe es durchaus gute Gründe für das uniforme Auftreten in schwarz. Der Schutz der Identität vor Polizeikameras oder politischen Feinden seien valide Argumente, die in der Vergangenheit dazu geführt hatten, dass man sich für diese Demo-Taktik entschieden habe. Aber Anarchismus sei mehr als nur der Black Block. Man wolle kreativen Ideen in diesem Jahr mehr Raum geben und alternative Gesellschaftsentwürfe für ein solidarisches Miteinander auf die Straße tragen.

Der bunte Ausdruck als Schutz

Und es gibt noch einen Grund für den neuen Dresscode: Was ursprünglich als Schutz vor Repression fungieren sollte, hat sich unter der Hamburger Polizei in das genaue Gegenteil verkehrt. Der Black Block provoziert, und das soll er natürlich und darf er auch, aber die Polizei nutzt das, um Linke zu schikanieren und mit Gewalt auf sie loszugehen. Am vergangenen 1. Mai war ein Teilnehmer der Anarcho-Demo am U-Bahnhof Schlump von einem Polizisten so schwer verletzt worden, dass er ein Schädelhirntrauma erlitt.

Das ist ein scheiß Grund, aber ein nachvollziehbarer. Natürlich darf die Polizei nicht unter fadenscheinigen Vorwänden auf Linke einprügeln oder sich vom geschlossenen Auftreten provozieren lassen. Aber es ist verständlich, dass Linke keine Lust mehr haben, ihre Gesundheit aufs Spiel zu setzen, wenn sie demonstrieren gehen.

Die Erkenntnis, dass der schwarze Block ausschließend auf Papierlose, traumatisierte oder körperliche Eingeschränkte Menschen wirken kann, ist richtig. Er ist deshalb ja meistens auch nur eine Demonstrationstaktik unter vielen. Allerdings eine ziemlich männlich-weiß dominierte, die körperliche Fitness voraussetzt.

Grundfarbe wird immer noch schwarz sein

Es ist richtig, das Dogma aufzubrechen und zu hinterfragen. Ob die An­ar­chis­t*in­nen damit gleich die Herzen der Bevölkerung gewinnen können, zeigt sich dann wohl im nächsten Schritt, vielleicht auch im übernächsten.

Zunächst muss sich erstmal zeigen, wie viele dem Aufruf folgen und wirklich farbenfroh auf der Demo erscheinen. Schließlich hat man ja auch keine unbegrenzte Farbauswahl im Kleiderschrank. Aber auf einige lilafarbene und Leoparden-Print-Leggings wird man sich schon einstellen müssen, auch der eine oder andere dunkelgrüner Kapuzenpulli wird wohl zu sehen sein. Dass die Grundfarbe immer noch schwarz sein wird, wird dann gar nicht so auffallen. Gut so, schließlich ist schwarz auch nur eine Farbe von bunt.

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Jahrgang 1986, hat Kulturwissenschaften in Lüneburg und Buenos Aires studiert und wohnt auf St. Pauli. Schreibt meistens über Innenpolitik, soziale Bewegungen und Klimaproteste, Geflüchtete und Asylpolitik, Gender und Gentrification.

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